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Warum Angst (oft) nützlich ist - und wie Angststörungen behandelt werden

Der sinn der Angst

Bild: Tyler McRobert, www.StockSnap.io
Bild: Tyler McRobert, www.StockSnap.io

Angst ist eines der wichtigsten menschlichen Gefühle. Sie ermöglicht es uns, Bedrohungen wahrzunehmen und auf diese zu reagieren. Sie sichert unser Überleben: Die angstbezogenen Körperreaktionen versetzen uns in die Lage, die Notfallprogramme Kampf oder Flucht zu starten. Jede Angst, die uns hilft, in der aktuellen Situation zu handeln, ist also sehr nützlich. Problematisch sind Ängste dann, wenn sie uns durch die Vorstellung von drohender Gefahr blockieren und unsere Handlungsmöglichkeiten einschränken.


Hier wird schon deutlich, dass sich Ängste immer auf drei verschiedenen Ebenen beschreiben lassen: Den Körperreaktionen, dem subjektiven Erleben (in Gedanken und Gefühlen) und dem Verhalten. Zwischen diesen Ebenen gibt es Wechselwirkungen - ändert sich eine Variable auf der einen Ebene, so hat das Auswirkungen auf die anderen Ebenen. Das zu wissen ist wichtig - später komme ich darauf zurück. Zunächst möchte ich aber einen Blick auf die Verhaltensebene und die subjektive Ebene werfen.

 

Die häufigste Verhaltensfolge von Angst ist die Vermeidung von angstbesetzten Situationen. Denkt man an den in diesem Zusammenhang häufig bemühten Steinzeitmenschen und sein Zusammentreffen mit dem Säbelzahntiger, dann macht die Reaktion durchaus Sinn. Hat ein gefährliches Tier sein Jagdrevier in einer bestimmten Gegend, sollte ich mich bemühen, die unsichtbare Grenze zu diesem Revier nicht zu überschreiten. Andernfalls würde ich ein vermeidbares und unter Umständen lebensbedrohliches Risiko eingehen.

 

Bei den heute weit verbreiteten Ängsten vor Prüfungssituationen oder vor dem U-Bahn-Fahren verhält sich die Situation allerdings anders: Durch die Vermeidung kann die oder der Betroffene nicht lernen, dass die Situation zu bewältigen und im Grunde ungefährlich ist. Die Vermeidung führt also dazu, dass die Angst aufrechterhalten wird. Darüber hinaus werden die Möglichkeiten, frei und den eigenen Wünschen entsprechend zu leben, eingeschränkt – nicht selten nimmt die Lebensqualität dadurch ab. Ähnlich verhält es sich mit hilfesuchendem Verhalten: Wer sich in bestimmten Situationen grundsätzlich eine schützende Begleitperson mitnimmt oder ständig Notfallmedikamente mit sich führt, bringt sich ebenfalls um die Erfahrung, angstbesetzte Situationen aus eigener Kraft meistern zu können.

 

Auf der Ebene des Denkens wird durch Angst vor allem der Fokus der Aufmerksamkeit verändert: Die Gedanken sind eingeengt (hochkonzentriert!) auf die vermeintliche Gefahr. Andere Reize können kaum noch wahrgenommen werden, Worst-Case-Szenarien und Handlungsmöglichkeiten werden innerlich durchgespielt. Durch die folgende körperliche Hochleistung – das Kampf- oder Fluchtverhalten – können die zuvor ausgeschütteten Stresshormone dann wieder abgebaut werden. Ist die Situation gemeistert, kann wieder Entspannung eintreten.

 

Anders als in Zeiten lauernder Säbelzahntiger sind Kampf und Flucht in unserer heutigen Gesellschaft aber oft unangebracht. Einmal ausgeschüttet wirken Stresshormone durch die fehlende körperliche Betätigung länger und halten unser Erregungsniveau erhöht. Zudem kommt Angst häufig auch dann auf, wenn Situationen als ungewiss oder unkontrollierbar eingeschätzt werden – etwas, was in heutigen Biographien, in denen es (leider) zunehmend um Leistung, Konkurrenz und Flexibilität geht, immer wieder auftritt.

 

Wie können wir also gut mit unseren Ängsten umgehen?

An dieser Stelle kommen die Wechselwirkungen der drei Ebenen wieder ins Spiel.

 

Nehmen wir die Bewertung der Angst (den Gedanken) als Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie sehen einen Horrorfilm, möglicherweise sogar in 3D. Wenn dieser gut gemacht ist, kann das ein sehr furchteinflößendes Erlebnis sein. Ist er aber gefährlich? Nein. Das Gehirn – genauer: die spontane Reaktion des limbischen Systems - macht zunächst keinen Unterschied zwischen Kino und Realität. Der Schreck ist gleich, die Aufmerksamkeit geschärft. Unsere Bewertung ist es dann aber, die den Unterschied macht. Nachdem das limbische System binnen Millisekunden Alarm ausgelöst hat, wirkt der Frontalkortex nach kurzer Analyse der Situation beruhigend auf den Körper ein. Die Ausschüttung der Stresshormone wird gestoppt.

 

Ein bedeutsamer therapeutischer Ansatz bei der Bewältigung von Ängsten ist darum die Veränderung der Bewertung von Gefahren. Manchmal hilft auch schon das Wissen um die Funktionalität der Angst: Wir empfinden Angst, wenn Werte, Menschen oder Dinge bedroht sind, die uns wichtig sind. Sie kann uns helfen, das Wesentliche zu sehen. Und wenn wir uns über die Ursache klarwerden, können wir vielleicht anders reagieren.

 

Auf chronische Angst kann man aber auch auf der körperlichen Ebene reagieren: Regelmäßiger Sport, bei dem der Puls dreimal wöchentlich über 140 gebracht wird, bedeutet durch den Abbau von Stresshormonen eine gute Prophylaxe. Eine Stärkung der Selbstwahrnehmung kann ebenfalls hilfreich sein, um Frühwarnzeichen besser erkennen zu können. Panikstörungen treten bspw. oft vor dem Hintergrund einer chronischen Stresssituation auf, über deren starke Wirkung die Betroffenen sich nicht klar waren. Um sich wieder wahrnehmen zu können, müssen manchmal erst einmal ein regelmäßiger Biorhythmus (v.a. regelmäßige Schlaf- und Essenszeiten), die Reduktion von Koffein, Alkohol, Nikotin und Zucker und Übungen zur Körperwahrnehmung (bspw. Entspannungs- und Achtsamkeitsverfahren) eingeführt werden.

 

Wichtig ist aber bei all dem, dass Angst eine lebenswichtige Funktion hat und sie von jedem Menschen akzeptiert werden muss. Ein angstfreies Leben kann es nicht geben – das wäre gefährlich.